Gregor Beyer war als Mitglied im Verhandlungsteam der CDU an der Erarbeitung des Koalitionsvertrages im Kapitel „Landnutzungs- und Umweltpolitik“ beteiligt. Mit ihm sprachen Anja Semmele, Chefredakteurin „Wir Jäger“, und Marcel Weichenahn, ihr Kollege des „Märkischen Angler“, über seine Einschätzung zu den Ergebnissen und zu den Herausforderungen, die auf die Landnutzer nun zukommen.
Das Interview ist zuletzt gekürzt in der Ausgabe 70, Januar bis März 2020, des Märkischen Fischer erschienen. Nachfolgend wird die ungekürzte Fassung wiedergegeben.
Weichenhan: Gregor, du warst im Verhandlungsteam der CDU an der Aushandlung des Koalitionsvertrages in der Arbeitsgruppe beteiligt, die die Agrar- und Umweltpolitik verhandelt hat. Wie ist es dazugekommen?
Beyer: Das ist ganz einfach! Mich hat der Fraktionsvorsitzende der CDU angerufen und mich gefragt, ob ich Interesse daran hätte mich bei diesen Fachthemen einzubringen. Das habe ich spontan zugesagt, denn der Koalitionsvertrag ist die Arbeitsgrundlage der Landesregierung für die nächsten fünf Jahre und die Herausforderungen im Bereich der Landnutzungs- und Umweltpolitik sind nun wahrlich groß; nicht zuletzt nach den vergangenen Jahren, die nicht gerade zu den politisch dynamischsten in der Umweltpolitik gehört haben.
Semmele: War das für ein „Nicht-CDU-Mitglied“ nicht eine ungewöhnliche Erfahrung?
Beyer: Nun ja, es ist vielleicht nicht das gängigste Verfahren. Ich empfand jedoch den Ansatz der CDU, fachlichen Sachverstand ganz unabhängig vom parteipolitischen Hintergrund bei einem Regierungsprogramm in den Fokus zu stellen, als überaus zukunftsorientiert. Zudem habe ich es als Signal an die Landnutzer empfunden, dass unsere Expertise zählt; das ist gegenwärtig im politischen Umfeld ja nicht immer der Fall. Eine kleine Schrecksekunde gab es jedoch in der Tat in dem Moment, als ich bei der ersten Sitzung meinen und den Namen des Verhandlungsteams in die Anwesenheitsliste eintragen musste. In der Spalte der Parteizugehörigkeit ist in letzter Sekunde aus dem geraden Strich des „F“ dann doch noch ein rundes „C“ geworden.
Weichenhan: Es gab auch Gerüchte über einen bevorstehenden Parteiwechsel?
Beyer: Gerüchte über einen bevorstehenden Parteiwechsel gab es in meiner politischen Laufbahn nun mittlerweile schon in drei verschiedene Richtungen, meines Wissens jedoch noch nie in Richtungen, die mich beunruhigen müssten. Insofern lohnt eine Erörterung dazu nicht, für einen freien und unabhängigen Geist schon gleich gar nicht!
Semmele: Das Verfahren mit unterschiedlichen Arbeitsgruppen und einer Hauptverhandlungsgruppe zum Koalitionsvertrag zu kommen war für das Land Brandenburg ein Novum?
Beyer: Ja das ist richtig! Es gibt ja nun auch ein Dreierbündnis. Das hat ein aufwändiges Verfahren mit Facharbeitsgruppen notwendig gemacht und ist demokratisch sicherlich auch besser als ein „Küchenkabinett“, das in kleiner Runde einsame Entscheidungen trifft. Gleichwohl ist es an der ein oder anderen Stelle schade, dass nicht jeder Kompromiss der Fachpolitiker von der Hauptverhandlungsgruppe, so wie ursprünglich verhandelt, übernommen wurde. Dennoch glaube ich, dass das ein gutes Verfahren war.
Weichenhan: Woran hat es gelegen, dass sich Kompromisse aus der Agrarumweltgruppe nicht eins zu eins im Koalitionsvertrag wiederfinden
Beyer: Dafür sind zwei Gründe ursächlich. Zum einen war es der Auftrag der Facharbeitsgruppe, ein ungefähr achtseitiges Papier zu verhandeln. Leider ist ein Verhandlungspartner mit einem rund 60-seitigen Papier gestartet, wären ein anderer mit einem fast erschreckenden kurzen Themenkonvolut ins Rennen gegangen ist. Das hat am Ende zu einem 20-seitigen Papier der Facharbeitsgruppe geführt, das die Hauptverhandlungsgruppe allein schon des Umfangs wegen kürzen musste. Taktisch war das einfach eine Dummheit, die sich die Facharbeitsgruppe selbst zuschreiben muss. Zum anderen ist es ganz natürlich, dass eine Hauptverhandlungsgruppe am Ende die zugelieferte Verhandlungsmasse zu einem Gesamtkompromiss verdichten muss.
Semmele: Wie bewertest Du insgesamt den Koalitionsvertrag als Grundlage für die nächsten fünf Jahre!
Beyer: Als Mitglied im Verhandlungsteam misst man das natürlich auch an dem Wissen, welche Forderungen anfänglich alle auf dem Tisch gelegen haben. Daran gemessen kann sich das Endergebnis sehen lassen und ist eine gute Grundlage, mit der Kenia funktionieren kann. Das auch deshalb, weil im Querschnitt des Vertrages Kompromisse gelungen sind, die Grundlage für gelebt Politik sein können. Allerdings wird am Ende Politik von Menschen und nicht von Verträgen gemacht; es wird sich zeigen, ob die Akteure die vertraglich formulierten Kompromisse auch mit Leben füllen können. Darüber aber entscheidet auch in der Umweltpolitik eine Fähigkeit, die der Pfälzer in mir bis heute als „mit de Leit redde könne“ bezeichnet – eine Fähigkeit, die gerade heutigen Umweltpolitikern nicht durchgehend gegeben ist!
Weichenhan: Was wertest Du als größte Erfolge für die Landnutzer im Vertragswerk?
Beyer: Dass es einen sogenannten „Kulturlandschaftsbeirat“ geben wird und die Landnutzer nach harten Kämpfen nun zukünftig auch im Stiftungsrat des NaturSchutzFonds sitzen werden, sind sicherlich Erfolge, auf die ich bei Beginn der Gespräche nicht gewettet hätte. Aber auch manche auf den ersten Blick eher unscheinbaren Formulierungen, so zum Beispiel, dass ein „funktionierendes und wertgeschätztes Jagdwesen eine Voraussetzung für die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Kulturlandschaft ist“, lassen hoffen. Es ist durchaus einiges drin, mit dem wir als Landnutzer zufrieden sein dürfen.
Semmele: Und wie sieht es mit den sprichwörtlichen Kröten aus, die zu schlucken sind?
Beyer: Lasst uns doch zusammen zunächst die Chancen sehen, die selbst in den Dingen stecken, die wir vielleicht auch aus guten Gründen eher als problematisch beurteilen. Mein Maßstab ist der, ob es der zukünftigen Landesregierung gelingt dicke Bretter zu bohren! Beispielsweise einen real kompensierenden finanziellen Ausgleich für NATURA 2000 Auflagen zu schaffen. Oder ob sie weiter phantasielos mit dem Ordnungsrecht einen enteignungsgleichen Weg geht. Ob die Kröte, bzw. der Frosch, zur Prinzessin wird, darüber entscheiden Menschen. Mit dem Koalitionsvertrag ist beides möglich – der Wille wird über den Erfolg entscheiden!
Semmele: Aber dennoch gibt es sicherlich einige Dinge, die Du trotzdem grundsätzlich kritisch bewertet?
Beyer: Auf alle Fälle das Arbeitspensum, zu dem sich die Landesregierung im Bereich der Landnutzungs- und Umweltpolitik verpflichtet hat, das bereitet mir in der Tat Sorge. Wir werden in den kommenden Jahren annähernd jedes uns betreffende Fachgesetz öffnen. Das fängt mit dem Waldgesetzt und dem Jagdgesetz an, geht wahrscheinlich unvermeidlich in das Naturschutzausführungsgesetz über und betrifft eine ganze Reihe weiterer Fachgesetze und Verordnungen. Inhaltlich habe ich davor keine Angst, wenngleich ich mich frage, ob sich die neue Landesregierung damit für fünf Jahre nicht deutlich zu viel aufgeladen hat.
Weichenhan: Wie sieht es für die Fischer und Angler des Landes aus! Was kommt genau auf uns zu?
Beyer: Eine entscheidende Festlegung sehe ich darin, dass in den Entwicklungskonzeptionen im Rahmen der FFH-Managementplanung zukünftig auch der fischereiliche und naturschutzfachliche Sachverstand der organisierten Anglerschaft einbezogen werden soll, gleichzeitig aber Regelungen zur guten fachlichen Praxis festzuschreiben sind. Das zeigt Chancen und Möglichkeiten der Angler und Fischer deutlich auf. Es wird die Herausforderung der kommenden fünf Jahre werden, sich einzubringen und aus Vorlagen etwas zu machen. Das bedeutet proaktiv zu agieren und erst gar nicht abzuwarten, bis die Politik Regeln zur guten fachlichen Praxis vorlegt. Wir haben im Forum Natur auf der letzten Vorstandsitzung daher auch vereinbart, dass wir diesen Prozess über alle Verbände hinweg offensiv angehen wollen.
Semmele: Du hast es schon gesagt, die Jagd wird mit einer Jagdgesetznovelle konfrontiert werden. Befürchtest Du hier nicht endgültig einen Dammbruch?
Beyer: Wir haben die Entscheidung zur Gründung des Forum Natur einen Tag nach dem Marsch von 15.000 Jägern über den Rhein bei Düsseldorf getroffen. Ich habe den Jägern des Landes kurz danach bei einem Landesjägertag prophezeit, dass der Tag kommen wird, an dem wir, wenn es sein muss, ebenso von Berlin über die Glienicker Brücke nach Potsdam marschieren müssen. Nun hatten wir annähernd fünf Jahre Zeit im Forum Natur und haben viel gemeinsam gelernt. Fürchten müssen sich also die, die den Geist aus der Flasche lassen wollen! Wir haben jetzt nur eine einzige Aufgabe, nämlich dass vom nächsten Landesjägertag im Mai kommenden Jahres ein starkes Signal der Geschlossenheit eines Verbandes ausgeht, der zusammen mit den anderen Landnutzern jederzeit bereit ist auf die Läufe zu kommen!
Semmele: Nachfrage, gewundert hat uns, dass eine Überarbeitung der Jagd DV keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat, obwohl das unseres Wissens eine klare Forderung der CDU war?
Beyer: Dazu könnte ich jetzt einiges fast humoristisches sagen, bitte aber um Verständnis, dass es gute Sitte unter den Teilnehmern solcher Verhandlungen ist, dass das Eine oder Andere im Kreis derer bleibt, die dort teils zu sehr frühen Morgenstunden Lösungen finden mussten. Es langt in dem Kontext die Feststellung, dass eine Gesetzesnovellierung faktisch immer die Überarbeitung der Durchführungsverordnung zum Gesetz mit sich zieht; es sei denn, man ändert annähernd nichts im Gesetz.
Weichenhan: Abschließend noch die Frage, wie Du deine Erwartungshaltung an die kommenden fünf Jahre beschreibst?
Beyer: Ob es fünf Jahre werden ist möglich, aber auch hier liegt zwischen Heute und Morgen immer ein „Vielleicht“! Eine spannende und wohl sehr arbeitsreiche Zeit wird es auf alle Fälle.
Am 09.12.2019 hat der Umweltauschuss des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zu den Vorlagen „Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ durchgeführt. Der Geschäftsführer des Forum Natur Brandenburg, war anlässlich der Befassung als anzuhörender Sachverständiger geladen. Es hat dabei deutlich gemacht, dass das Gesetzesvorhaben in seiner bislang geplanten Umsetzung droht ein „Wolfsakzeptanzverlustbeschleunigungsgesetz (WAVBG)“ zu werden.
Die gesamte Anhörung mit den dazugehörigen Dokumenten findet sich auf den Seiten des Ausschusses Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit des Deutschen Bundestages. Im Verlauf der Änhörung hat die Frage nach der Höhe des deutschen Wolfsbestandes eine zentrale Rolle eingenommen. Hierzu hat Gregor Beyer ausführlich die gegenwärtige Situation dargelegt und dabei auf das Bundesamt für Naturschutz (BfN) erwiedert.
Die von dem Wiedererstarken der deutschen Wolfsbestände betroffenen Landnutzer begrüßen es unumwunden, dass sich der Deutsche Bundestag der dringend notwendigen Gesetzesänderung stellt, die insgesamt durch die Entwicklung der europäischen Wolfspopulation notwendig wird und deren Bedarf für ein „aktives Bestandsmanagement“ immer deutlicher zutage tritt. Wir begrüßen in diesem Kontext ebenso ausdrücklich, dass die Hauptzielsetzung für ihr Gesetzesvorhaben darin liegt, „die Rechtssicherheit bei der Erteilung von Ausnahmen von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten zu erhöhen“. Dass es diesbezüglich einen grundsätzlichen Bedarf gibt, ist über die verschiedenen verbandspolitischen Positionierungen hinweg in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile unumstritten.
Gleichwohl stellt sich im Rahmen Ihrer Zielsetzung die für die Betroffenen geradezu essenzielle Frage, ob die Art und Weise ihrer gesetzesseitigen Umsetzung geeignet ist, diesem Ziel zu entsprechen. Gleichwohl muss die Frage erörtert werden, inwieweit Ihr Vorhaben insgesamt mit der sich gegenwärtig abzeichnenden Lage zur Betroffenheit der Landnutzung in der deutschen Kulturlandschaft geeignet ist, die bestehenden Konflikte mindestens zu minimieren und die Akzeptanz für die weiterhin ungebrochene Ausbreitung der Wölfe in Deutschland zu erhalten. Eingedenk dieser Vorbemerkung möchten wir die folgende Stellungnahme auf diese beiden Punkte konzentrieren.
I. Möglichkeit der Schaffung von Rechtsicherheit
Das Bundesnaturschutzgesetz fordert vor der letalen Entnahme einzel-ner Wolfsindividuen bislang den Nachweis des Entstehens „erheblicher land-, forst-, fischerei- oder wasserwirtschaftlicher Schäden“. Sie beabsichtigen diese Schadensdefinition abzustufen, indem Sie den Begriff der erheblichen Schäden in sogenannte ernsthafte Schäden umdefinieren wollen. Grundsätzlich ist diese Herangehensweise zu begrüßen, da die gegenwärtig gültige Rechtsprechung den bislang gültigen Begriff der erheblichen Schäden in einer Art und Weise auslegt, die faktisch den wirtschaftlichen Ruin eines betroffenen Unternehmens voraussetzt, bevor die Verwaltung die Entnahme einzelner Tiere bescheiden kann.
Dabei unterlassen Sie es jedoch in Ihrem Gesetzesvorhaben vollständig, den neuen Rechtsbegriff auch nur ansatzweise näher zu definieren. Weder beabsichtigen Sie, in das Gesetz eine „Positiv- bzw. Negativliste“ einzuführen, noch geben Sie ergänzende Hinweise im Gesetzestext, die die spätere Auslegung Ihres gesetzgeberischen Willens für die rechtlich wie praktisch Betroffenen möglich macht. Es ist daher davon auszugehen, dass die spätere Anwendung der Definition „ernsthafte Schäden“ die gleichen jahrelang betriebenen rechtlichen Auseinandersetzungen nach sich ziehen wird, die in den vergangenen Jahren bereits im Rahmen der Auslegung des Begriffes „erheblicher Schäden“ zu beobachten war. Wir weisen diesbezüglich insbesondere auf die erfolgten Auseinandersetzungen zwischen dem Landkreis Märkisch-Oderland (Bundesland Brandenburg) und den dort aktiven Umwelt NGOs bezüglich der Entnahme von Bibern hin. Im Lichte dieser Auseinandersetzung erweist sich Ihr Gesetzesvorhaben als zutiefst kontraproduktiv, da die zwischenzeitlich eingetretene, wenn auch un-genügende Rechtssicherheit bezüglich der Auslegung von „erheblichen Schäden“ im Zuge Ihres Gesetzesvorhabens von erneuten jahrelangen Auseinandersetzungen bezüglich des dann neuen Begriffes abgelöst werden wird.
Hingewiesen sei in diesem Kontext auch darauf, dass die Einschätzung der Bundesregierung zum „Erfüllungsaufwand“ Ihres Gesetzesentwurfes in allen drei Punkten nicht zutreffend ist. Sowohl für betroffenen Bürgerinnen und Bürger, gleichfalls wie von den Wölfen betroffene Wirtschaftsunternehmen (insb. Agrarunternehmen mit Weidetierhaltung), als auch für die betroffene Verwaltung wird im Zuge der Schaffung von Rechtssicherheit bezüglich der Auslegung des neuen Rechtsbegriffs erheblicher Aufwand entstehen, der sich nach allen vorangegangenen Erfahrungen über mehrere Jahre und über mehrere Instanzen der Rechtsprechung hinziehen wird. Gleiches gilt selbstverständlich für die Darlegung zu den nicht zu erwartenden weiteren Kosten. Selbstverständlich ist das durch das zu erwartende Beklagen der neuen Gesetzeslage bzw. der darauf fußenden Verwaltungsentscheidungen mit erheblichen Aufwendungen zu rechnen.
Ihr Vorhaben ist daher nicht geeignet, zur Rechtssicherheit beizutragen, sondern wird vielmehr eine erneute Phase akzeptanzminimierender Rechtsunsicherheit begründen.
Ferner beabsichtigen Sie zukünftig einen Eingriff bei Schäden an Nutztieren auch dann möglich zu machen, wenn das entstandene Schadensbild nicht zweifelsfrei und eindeutig einem verursachenden Wolfsindividuum zugeordnet werden kann. Sie schaffen damit in Bezug auf die teilweise bestehenden Regelungen in den Wolfverordnungen der Länder ein Stück weit Rechtssicherheit und bestätigen bundesgesetzlich die beispielsweise im Bundesland Brandenburg durch die Wolfsverordnung bereits heute bestehende Rechtssituation.
Zusätzlich beabsichtigen Sie eine Klarstellung bezüglich der Bestimmung für geeignete Personen, die eine Entnahme von Wölfen nach Erteilung einer Ausnahme durchführen sollen. Auch diese Neuregelung wird im Grundsatz begrüßt. Allerdings zeigen insbesondere aktuell vorliegende Erfahrungen (siehe hier aktuell insbesondere Bundesland Schleswig-Holstein), dass eine Entnahme von entsprechenden Wolfsindividuen nur auf dem Wege eines großflächigen Ansatzes durch die Jagdausübungsberechtigten innerhalb des deutschen Reviersystems realistisch ist. Es erweist sich daher als ungenügend, dass Sie in Ihrem Gesetzesvorhaben lediglich auf eine Einbeziehung der Jagdausübungsberechtigten „nach Möglichkeit“ abstellen wollen.
Dies entspricht auch nicht den bereits heute gültigen Regelungen, wie sie beispielsweise das Bundesland Brandenburg getroffen hat. Es ist daher eine Regelung anzuraten, bei der die Jagdausübungsberechtigten grundsätzlich als „Erstzugriffsberechtigte“ zu benennen sind, während die Realisierung der Entnahme durch anderweitige Personen nur dann infrage kommen darf, wenn einzelne oder mehrere Jagdausübungsberechtigten ihre Bereitschaft für den Vollzug verweigern. Diesbezüglich wäre es deutlich anzuraten, dass die für die Entnahme notwendigen Jagdausübungsberechtigten für diese zukünftigen Aufgaben entsprechend qualifiziert werden und ein gesetzlicher Rahmen geschaffen wird, indem die notwendige Entnahme auf Basis klarer und nachvollziehbarer Regelungen in einem zweifelsfrei bestehenden „Zustand von Rechtssicherheit“ erfolgen kann.
II. Kompatibilität des Vorhabens zur aktuellen „Wolfssituation“
Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen muss die Frage gestellt werden, inwieweit der von Ihnen beabsichtigte Regelungsbedarf der Lebenswirklichkeit Betroffener und der aktuellen Wolfsituation gerecht wird. Um den gegenwärtigen Zustand des „nationalen Wolfsbestandes“ und dessen Auswirkungen zu beurteilen, bieten sich insbesondere die Bestandszahlen und die aus diesen entstehenden Schäden an Nutztieren an. Bezüglich der Bestandszahlen der in der Bundesrepublik beheimateten Wölfe ist nicht nur deren Höhe von Interesse, sondern vor allem auch die Art und Weise, wie diese Bestandszahlen mit welchen Bezugszeitpunkten publiziert und wahrgenommen werden. So hatte beispielsweise das Bundesamt für Naturschutz im nationalen Bericht nach Artikel 17 der FFH-Richtlinie mit Beginn dieses Jahres 166 Wölfe als nationalen Bestand (kontinentale und atlantische Region) an die EU gemeldet. Dieser Umstand hat in den vergangenen Wochen für erhebliche Debatten und Irritationen gesorgt. Ursächlich dafür war der Umstand, dass diese Meldung lediglich den Wolfbestand in Deutschland mit Bezug zum Monitoringjahr 2015/16 wiedergegeben hat. Diese in der zeitlichen Abfolge der FFH-Berichte erklärbaren Bestandszahlen widersprechen jedoch diametral dem gegenwärtigen deutschen Wolfsbestand, mit dem sich die Betroffenen konfrontiert sehen.
Auch die in der vergangenen Woche durch das Bundesamt für Naturschutz gemeldeten sogenannten aktuellen Bestandszahlen sind zum Zeitpunkt ihrer Meldung bereits überholt. Rechnet man diese Zahlen (105 Rudel, 25 Wolfspaare und 13 Einzelindividuen) nach den wissenschaftlich anerkannten Kenngrößen (ein Rudel entspricht acht Individuen) auf Einzelindividuen um, so würde dies einer Anzahl von 878 Wölfen in Deutschland entsprechen. Allerdings ist hierbei zu berück-sichtigen, dass es sich dabei um den Frühjahrsbestand dieses Jahres handelt, also ohne den längst vorhandenen Nachwuchs. Ermittelt man diesen mit der ebenfalls wissenschaftlich anerkannten Zuwachsrate von 35-36 %, so leben offiziell gegenwärtig etwas über 1.190 Wölfe in Deutschland.
Will man sich diesbezüglich mit dem Handlungsbedarf für politische Entscheidungen auseinandersetzen, so muss man diese aktuelle Bestandszahl in einer mathematischen Simulation für die kommenden Jahre betrachten. Dies bedeutet, dass bereits im Spätjahr 2021 von deutlich über 2.200 Wölfen auszugehen ist, im Spätjahr 2024 die 5.000 Grenze deutlich überschritten sein wird und in etwa zehn Jahren von rund 25.000 Wölfen ausgegangen werden kann. Da für die deutsche Kulturlandschaft keine Kapazitätsgrenze erkennbar ist, die diesen alljährlichen Zuwachs in naher Zukunft begrenzen könnte, muss eine zehnjährige Betrachtungsreihe mit ungebrochenem Zuwachs als durchaus realistisch betrachtet werden.
Diese Bestandsentwicklung geht einher mit der Schadensituation an Nutztieren. Die aktuellen Zahlen vom Ende der letzten Woche machen mit 2.067 getöteten, verletzten oder vermissten Nutztieren im Jahr 2018 deutlich, was ein weiteres Anwachsen des Wolfsbestandes mit dem ebenso exponentiell Anwachsen der Schäden an Nutztieren für die Betroffenen zukünftig bedeuten wird.
Bezüglich dieser Darlegung muss man sich vergegenwärtigen, dass sich die Entwicklung des Wolfsbestandes in den verschiedenen deutschen Bundesländern völlig unterschiedlich darstellt. So mag die durch den Deutschen Bundestag angedachte Neuregelungen im Bundesnaturschutzgesetz durchaus geeignet sein, um in jenen Bundesländern Wirkung zu entfalten, die erst am Anfang der Wiederbesiedlung mit Wöl-fen stehen. Insbesondere in den Bundesländern Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und auch Niedersachsen gestaltet sich die Situation allerdings gänzlich anders. Hier ist längst eine Grenze in der Bestandsermittlung erreicht, die die dringende Notwendigkeit begründet, die Weichen für ein zukünftiges „aktives Bestandsmanagement“ der Wölfe in Deutschland zu stellen. Mindestens in diesen betroffenen Bundesländern erweisen sich die jetzigen Regelungsvorschläge im BNatSchG daher als deutlich verspätet und werden keinen Beitrag zur Akzeptanzsicherung für den Wolf in Deutschland leisten.
III. Zusammenfassung
Das durch die Bundesregierung eingebrachte und im parlamentarischen Raum diskutierte Vorhaben von gesetzlichen Neuregelungen im Rahmen des Umgangs mit Wölfen geht in einigen Punkten in die richtige Richtung. Gleichwohl wird das Vorhaben nicht seinem Anspruch gerecht, die gegenwärtig unbefriedigende Rechtslage einer umfassenden Verbesserung zuzuführen. Als besonders problematisch erweist es sich, dass die angedachten Neuregelungen, insbesondere in den vom Wiedererstarken des Wolfsbestandes besonders betroffenen Bundesländern, nicht mit der realen Wolfssituation korrespondieren. Den politisch Verantwortlichen verbleibt gegenwärtig nur noch ein geringer Zeithorizont, um jene politischen Entscheidungen zu treffen, die für ein Land mit flächendeckender Besiedlung von Wölfen essenziell sind. Die Vorschläge dazu sind umfänglich erarbeitet. Wir verweisen daher auf den „Handlungsvorschlag für ein praxisorientiertes Wolfsmanagement in der Kulturlandschaft Deutschlands“, den wir dieser Stellungnahme in Anlage beifügen.
Bezüglich des vorgelegten Gesetzesentwurfes eines „zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ verweisen wir daher auf den nach unserer Auffassung falschen Namen für dieses Gesetz. Angebracht wäre es, das Gesetzesvorhaben in seiner jetzigen Ausprägung als „Wolfsakzeptanzverlustbeschleunigungsgesetz (WAVBG)“ zu bezeichnen.
Das Vorhaben wird nach unserer Auffassung lediglich dazu beitragen, den gegenwärtig zu beobachtenden rapiden Verlust der Akzeptanz für Wölfe in unserer Kulturlandschaft zu forcieren. Wir appellieren an den politischen Raum, sich den Realitäten bezüglich des Wiedererstarken des nationalen Wolfsbestandes zu stellen und die europarechtlich zulässigen Ausnahmemöglichkeiten des Artikel 16 FFH-Richtline in bundesdeutsches Recht zu überführen. Jede andere Herangehensweise, die hinter diesem Anspruch zurückbleibt, bedeutet ein Versagen in den Bemühungen um die Ermöglichung einer Kulturlandschaft mit Wolf und Weidetieren!